Platz des Unsichtbaren Mahnmals

Der Saarbrücker Schlossplatz hat auch einen zweiten Namen: Am 23. Mai 1993 wurden die beiden Schilder mit der Aufschrift „Platz des Unsichtbaren Mahnmals“ enthüllt. Gleichzeitig wurde das zugehörige Projekt „2146 Steine - Mahnmal gegen Rassismus“ im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden Ignatz Bubis und des Präsidenten des damaligen Stadtverbandes Saarbrücken Karl-Heinz Trautmann der Öffentlichkeit übergeben. Hier finden Sie historische Hintergründe, mit Fotos und Audios anschaulich aufbereitet. Und uns interessiert auch Ihre eigene Meinung zu diesem ungewöhnlichen Mahnmal.

Wie alles begann – warum der Schlossplatz?

Als Jochen Gerz im Jahr 1990 seine Gastprofessur an der neu gegründeten Hochschule für Bildende Künste Saar antrat, konfrontierte er seine Studenten mit der Idee, ein „Mahnmal gegen Rassismus“ zu erstellen. Auf der Suche nach Spuren der Vergangenheit setzten sich die Studenten der Kunsthochschule auch mit der Geschichte des Schlossplatzes auseinander. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1935 richtete sich die Gestapo im Nordflügel des Schlosses ein.

Zudem waren im Erbprinzenpalais der Polizeipräsident und im Alten Rathaus die Kriminalpolizei untergebracht. Damit verkörperte der Schlossplatz die Polizeigewalt des NS-Staates. In den Schlosskeller sperrte man ab 1935 die politisch Verfolgten ein, dort wurden sie gefoltert und in den Diensträumen der Gestapo verhört. In der Pogromnacht des 9. November 1938 wurden die Saarbrücker Juden durch die Straßen zum Schlossplatz getrieben und erniedrigt. Dort drohte man ihnen mit dem Tod, und von dort wurden am 21. Oktober 1940 Juden deportiert. Die heute im Museum zu besichtigende Gestapo-Zelle ist Zeugnis für die Verfolgung von ausländischen Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges. Ihre Wände sind bedeckt mit den Inschriften der Inhaftierten.

Recherchearbeit – Jüdische Friedhöfe vor 1933

Die Studierendengruppe hatte eine Idee, die jedoch viel Recherchearbeit bedeutete. Sie gewann die 66 jüdischen Gemeinden für eine Zusammenarbeit, so dass erstmalig die Namen aller im Deutschen Reich bis 1933 vorhandenen jüdischen Friedhöfe zusammengestellt werden konnten. Schon vor der Wiedervereinigung wurde die Erfassung auch auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.

Bis 1993 konnten 2146 Namen zusammengetragen werden, deren topographische Verortung auf einer Deutschlandkarte ein dichtes Netz ehemaliger jüdischer Gemeinden sichtbar werden ließ.

Heimlicher Beginn der Arbeiten

Jochen Gerz wollte das geplante „Mahnmal gegen Rassismus“ an einem zentralen Platz und ohne Auftrag und Beeinflussung seitens eines Auftraggebers realisieren. Das hieß für den Künstler, die Arbeit zunächst in der Illegalität zu entwickeln und mit der Form zu experimentieren. Der gepflasterte Schlossplatz in Saarbrücken bot sich als Verbindungsglied zu allen historischen Ereignissen besonders an.

Die heimlich in der Nacht entnommenen Pflastersteine wurden durch andere ersetzt und bearbeitet, indem man auf die Unterseite der Steine den Namen eines Ortes mit jüdischer Begräbnisstätte sowie das Datum der Beschriftung einmeißelte. Anschließend wurden die beschrifteten Originale wieder in einer nächtlichen Aktion zurückverpflanzt.

Hitzige Diskussionen

1991, als man den Umfang der Aktion abschätzen konnte, und sich zudem die gelockerten und verpflanzten Steine als „Stolpersteine“ den Schlossbesuchern entgegenstellten, war man gezwungen, die Illegalität aufzugeben. Jochen Gerz informierte den Ministerpräsidenten des Saarlandes und namhafte Politiker des Stadtverbandes über sein Vorhaben und erreichte große Zustimmung.

Die Entscheidung im Stadtverbandtag am 29. August 1991

Am 29. August 1991 steht das Thema „Mahnmal gegen Rassismus“ auf der Tagesordnung des Stadtverbandstages (heute: Regionalversammlung) und wird im Beisein von Jochen Gerz zwei Stunden lang hitzig diskutiert. Die Entscheidung für das Mahnmal wird von den 22 Abgeordneten der SPD-Fraktion und zwei Abgeordneten der Grünen getragen. Die Abgeordneten der FDP und der CDU sowie ein Grüner stimmen gegen das Projekt (17 Gegenstimmen).

„Grundsätzlich möchte ich in einer kleinen Parenthese sagen, daß es Sie nicht überraschen darf, wenn das Konzept dieses Mahnmals Schwierigkeiten, Überraschung, Enttäuschung, Verwirrung bei Ihnen provoziert.“ (Jochen Gerz zu den Abgeordneten)

„Für mich ist als leidenschaftlicher Saarländer ganz ganz wichtig, daß mit dieser Maßnahme Saarbrücken als Ort progressiver Kunst hinaus in die Welt getragen wird. Wir sollten […] Herrn Prof. Gerz und seinen Studenten danken.“ (Heribert Kiefer, SPD)

„Es wird nichts anderes damit gemacht, als sie [die Aussage und die Namen der Friedhöfe, Anm.] quasi unter den Teppich dieses Platzes zu kehren. das ist doch kein Weg für ein Mahnmal. […] Dieses abstrakte Mahnmal kann keine Überzeugung vermitteln und es wird keine Überzeugung vermitteln.“ (Stefan Weszkalnys, CDU)

„Die Ernsthaftigkeit des in Deutschland fast zu einem Trauma gewordenen Themas […] bestärkt uns in der Forderung nach einem Mahnmal des Konsenses und wir lehnen – ich sage es etwas brutal, Herr Prof. Gerz, Sie mögen es mir verzeihen – die Kunstaktion von Ihnen ab.“ (Eberhard Krauss, FDP)

„Dieses Mahnmal bietet dem betrachter eben nicht die Möglichkeit zu vergessen oder zu verdrängen. […] Dieses Mahnmal entzieht sich durch seine Unsichtbarkeit der Bewältigung und dem Mißbrauch. […] Das Mahnmal ist präsent im alltäglichen Leben, es zwingt damit zur Akzeptanz der Realität.“ (Jürgen Nieser, Grüne)

„Wissen Sie, Sie sind schuld daran, daß ich Sie mit dieser Arbeit konfrontieren muß. Sie hätten 50 Jahre Zeit gehabt, es selbst zu tun. Ich hätte sicher keine zweite Arbeit in Saarbrücken zum gleichen Thema machen wollen.“ (Prof. Jochen Gerz)

Feierliche Übergabe des Mahnmal

Am Sonntag, den 23. Mai, sind mittags die neuen blauweißen Emailleschilder auf dem Saarbrücker Schlossplatz noch verhüllt. Viel Prominenz ist zugegen. Stadtverbandspräsident Karl-Heinz Trautmann, Hausherr am Ort des Geschehens, erinnerte an die dunklen Seiten der Schlossgeschichte in der Nazi-Zeit.

Original Tonaufnahmen vom 23.05.1993

Original-Ton Jochen Gerz

Prof. Jochen Gerz fasst in seiner kurzen Rede sein Mahnmal-Konzept nochmal zusammen.

Original-Ton Ignatz Bubis

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, fand auch kritische Worte für die Arbeit von Jochen Gerz und seiner Studentengruppe.

Original-Ton Oskar Lafontaine

Der damalige saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine nannte das Saarbrücker Mahnmal einen Appell gegen das Vergessen.

Das sensible und intellektuell anspruchsvolle Projekt des Saarbrücker Mahnmals, das sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht, stieß in der Öffentlichkeit zunächst zwangsläufig auf Kritik. Nicht, dass man ein solches Mahnmal grundsätzlich ablehnte, aber die „Nichtsichtbarkeit“ und das illegale Vorgehen des Künstlers wurden heftig kritisiert.

Kritik, die sich auf den Ort des Mahnmals bezog, an welchem viele Feste gefeiert würden, konnte entkräftet werden, weil im jüdischen Glauben kein Widerspruch zwischen Alltagsleben und Erinnerung an die Toten besteht. Überregional hingegen hat das Saarbrücker Projekt - von "Le Figaro" bis hin zur "New York Times" - ein für das Saarland außerordentliches, ein ungeteilt positives Echo gefunden. In der Saarbrücker Zeitung vom 24. Mai 1993 findet Cathrin Elss in ihrem Kommentar viel lobende Worte für den Ansatz:


„Das Saarbrücker Mahnmal setzt nun eine Zäsur, es verhindert, daß wir weiterhin routiniert Betroffenheit abliefern. […] Wir erhalten die Freiheit, uns unseres Verstandes zu bedienen – und selbsttätig zu entscheiden, ob und wie wir uns mit der barbarischen Vergangenheit, dem millionenfachen Morden, auseinandersetzen wollen. […] Insbesondere die Jungen dürfte deshalb die Gerzsche Unaufdringlichkeit überzeugen. […]“

Interview mit Karl-Heinz Trautmann und Peter Gillo

Genau 25 Jahre nach der offiziellen Übergabe des Mahnmals befragte Pressesprecher Lars Weber den damaligen Stadtverbandspräsidenten Karl-Heinz Trautmann und den heutigen Regionalverbandsdirektor Peter Gillo zu ihren Meinungen zum "Unsichtbaren Mahnmal".